Änderung der Prioritäten?

Änderung der Prioritäten ??

 2009 hat die Europäische Kommission Leitlinien zu ihren Prioritäten bei der Behandlung von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen veröffentlicht (2009/C45/02). Am 27. März 2023 wurden dazu überraschend Änderungen bekanntgemacht. Gleichzeitig leitete die Kommission eine öffentliche Konsultation zu neuen Leitlinien ein, die 2025 in Kraft treten sollen. Mit ihren Änderungen will die Kommission den Entwicklungen in der Rechtsprechung der EU-Gerichte Rechnung zu tragen.

 Die Änderungen in den überarbeiteten Leitlinien könnten die Bedeutung des „effects based“ oder "wirtschaftlichen" Ansatzes in Missbrauchsfällen verringern - insbesondere bei der Anwendung des "As-Efficient-Competitor"-Tests (AEC) - und die Schwelle für ein Eingreifen der Kommission senken.

 Damit ändert die Kommission ihre Haltung gegenüber 2009, wo sie die Bedeutung des  AEC-Test bei der Analyse in preisbasierten Missbrauchsfällen betonte. Damit waren im Prinzip und nach Ansicht der Komission nur Unternehmen, die mindestens so effizient sind wie das marktbeherrschende Unternehmen, gemäß Artikel 102 AEUV geschützt. Die EU-Gerichte wendeten demgegenüber einen formalistischen Ansatz an und beurteilten die Rechtmäßigkeit von Rabatten, die von marktbeherrschenden Unternehmen angeboten wurden, anhand objektiver Merkmale und nicht anhand ihrer Auswirkungen.

Im Intel-Urteil (6.9.2017, C-413/14) hat der EuGH den AEC-Test aufgegriffen, was als wichtiger Schritt zur Anerkennung eines stärker wirkungsorientierten Ansatzes angesehen wurde. Das erschwerte der Kommission die Verfolgung von Missbrauchsfällen. Seit Intel wurden zwei Entscheidungen der Kommission betreffend Marktbeherrschung von den EU-Gerichten auf dieser Grundlage aufgehoben.

 Der Schutz weniger effizienter Wettbewerber

 Nach den überarbeiteten Leitlinien sollen nun auch Unternehmen, die (noch) keine gleichwertigen Konkurrenten sind, vor Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen geschützt werden.

Die Kommission beruft sich auf die EuGH - Urteile Post Danmark (6.10.2015, C-23/14) und Unilever Italia (19.1.2023, C-680/20), um diese Änderung zu stützen. Der Schutz des "weniger effizienten Wettbewerbers" findet im Post-Danmark-Urteil aus dem Jahr 2015 eine gewisse Grundlage, wenn auch der Gerichtshof feststellte, dass die Struktur des Marktes das Entstehen eines AEC verhinderte. Der neuere Fall Unilever Italia erkennt aber ausdrücklich die Relevanz eines AEC-Test als eine von mehreren Methoden an.

 Das Spannungsverhältnis zwischen den Europäischen Gerichten und der Kommissionspraxis bleibt bestehen. Besonders relevant könnten Märkte mit erheblichen Schranken für den Markteintritt und die Expansion sein, zum Beispiel digitale Märkte. Hier möchte die Kommission möglicherweise ihren Handlungsspielraum bewahren.

 Hilft der AEC-Test noch weiter?

 In den überarbeiteten Leitlinien wird – wie auch im Unilever Italia – Urteil - betont, dass der AEC-Test nur eines von vielen Instrumenten zur Bewertung von Ausschlusseffekten ist. Seine Ergebnisse sind nur ein Element in einer umfassenderen Bewertung, die auch andere Beweise einschließen kann. Der AEC-Test ist damit keine "Freikarte"!

 Neue und offene Fragen:

 Damit stellen sich neue Fragen:

 Wie wird die Kommission wirtschaftliche Beweismittel der Unternehmen bewerten?

  • Wie weit können sich Unternehmen auf einen AEC-Test verlassen?
  • Wird der neue Schutz von weniger effizienten Wettbewerbern zu Lasten der marktbeherrschenden Unternehmens gehen könnte?
  • Wird es für marktbeherrschende Unternehmen schwieriger, sich gegen Missbrauchsvorwürfe zu verteidigen?
  • Werden die EU-Gerichte die Praxis der Kommission zum Schutz weniger effizienter Wettbewerber akzeptieren?

 Unternehmen können bis zum 24. April 2023 und erneut Mitte 2024, dann zum Entwurf der neuen Leitlinien, Stellung nehmen.

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